Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2020, Rubrik Titelthema

Stichwort: Kinderrechte ins Grundgesetz

Wie steht Ihre Partei zum kürzlich vorgestellten Entwurf der Bundesregierung?

SPD: Die Hamburger SPD hat maßgeblich darauf hingewirkt, dass die Forderung »Kinderrechte ins Grundgesetz« in den Koalitionsvertrag für die Bundespolitik zwischen SPD und CDU/CSU aufgenommen wurde. Seit Jahren kämpft die SPD in den Ländern und im Bund für dieses Ziel. Die Empfehlungen der mit unseren Stimmen eingesetzten Hamburger Enquete-Kommission »Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken« bekräftigen uns in dieser Zielsetzung: Es hat sich gezeigt, dass die Perspektive der Kinder und ihre Bedürfnisse zu wenig im Mittelpunkt von Jugendhilfemaßnahmen stehen. Wir werden uns daher weiterhin dafür stark machen, dass Kinderrechte ins Grundgesetz kommen und die Perspektive von Kindern und ihr Wohl ausschlaggebend bei allen unseren Aktivitäten sind. In Bezug auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung wünschen wir uns eine noch stärkere Formulierung als im vorgelegten Entwurf vorgesehen. Der Kindeswohlvorrang sollte als »wesentlich« aufgenommen werden. Die Formulierung zum rechtlichen Gehör ist für uns ebenfalls noch zu schwach. Auch wir wollen keinen Eingriff ins Erziehungsrecht der Eltern. Es sollte jedoch ein klar gefasstes Beteiligungsrecht von Kindern bei staatlichen Entscheidungen eingeführt werden. Wir werden die Bundesjustizministerin dabei nach Kräften unterstützen.

Bündnis 90 / Die Grünen: Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Nicht nur hinkt unsere Verfassung bezogen auf die Stellung von Kindern der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinterher. Auch nach der UN-Kinderrechtskonvention muss bei allen Angelegenheiten, die ein Kind betreffen, das Kindeswohl immer vorrangig berücksichtigt werden.
Die grüne Bundestagsfraktion hat bereits im Juli 2019 einen eigenen Gesetzentwurf vorgestellt (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/105/1910552.pdf), der eine starke Formulierung enthält. In unserem Gesetzentwurf sind die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) ausdrücklich verankert und Kinder neben Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt.
Was in dem von der Bundesjustizminister in vor kurzem veröffentlichten Gesetzesentwurf steht, ist jedoch enttäuschend: Der Vorschlag sieht vor, Art. 6 GG einen neuen Absatz 1a hinzuzufügen, wonach jedes Kind das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft hat. Das Wohl des Kindes sei bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, »angemessen« zu berücksichtigen. Und jedes Kind habe bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Bei dieser Formulierung handelt es sich um reine Symbolpolitik, die keinerlei Mehrwert in Sachen Kinderrechte mit sich bringt.
Mit der Festlegung auf eine nur »angemessene« Berücksichtigung des Kindeswohls wurde der schwächste von drei Vorschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgegriffen. Man hat sich damit gegen die Alternativvorschläge für eine »wesentliche« oder gar »vorrangige« Berücksichtigung des Kindeswohls entschieden. So fällt der Entwurf hinter die Vorgaben der Kinderrechtskonvention zurück, die – wie bereits erwähnt – ausdrücklich vorsieht, das Kindeswohl in den benannten Fällen stets »vorrangig« zu berücksichtigen. Dies könnte im Ergebnis sogar eine Schwächung der Kinderrechte zur Folge haben, denn der klare Impuls aus der UN-Kinderrechtskonvention droht, dadurch abgeschwächt zu werden. Zudem darf die Orientierung am Wohl des Kindes nicht auf einzelne Teilaspekte beschränkt werden. Sie muss vielmehr für alle Fragen und Probleme gelten, die Kinder insgesamt angehen. Und schließlich hat die Bundesjustizminister in die Rechte von Kindern auf Teilhabe auf die tatsächlich bereits vorhandenen Rechtsnormen zur Anhörung beschränkt. Erforderlich ist jedoch ein echtes Mitspracherecht von Kindern bei allen sie betreffenden, staatlich gelenkten Angelegenheiten. Jedes Kind hat Rechte – und unsere Verfassung ist ein guter Ort, um die Voraussetzungen für ein solches, kinderfreundliches Land zu schaffen. Allerdings nur, wenn die Kinderrechte dort tatsächlich stark gemacht werden. Der jetzige Vorschlag der Bundesregierung tut dies leider nicht.

CDU: Wir wollen Kinderrechte im Grundgesetz sichtbar machen, aber der Staat darf die Eltern nicht ersetzen wollen. Zumal die Rechte von Kindern bereits jetzt umfassend im Grundgesetz geschützt sind. Wenn wir, wie im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbart, Kindergrundrechte im Grundgesetz nun ausdrücklich und für jedermann verständlich verankern wollen, dann soll das zu einem Gewinn für die Kinder und ihre Anliegen werden, aber keine Einmischung des Staates in Familien auslösen, wo sie nicht durch das Wächteramt geboten ist.

DIE LINKE: Wir begrüßen die generelle Bereitschaft der Regierungskoalition im Bund, Kinderrechte im Grundgesetz aufzunehmen. Als Partei DIE LINKE vertreten wir aber die Auffassung, dass mit der Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz eine rechtliche Verbesserung gegenüber dem Status Quo hergestellt werden muss. Die wenigen Informationen, die bislang über die Vorhaben der Bundesregierung bekannt geworden sind, erwecken den Anschein, dass lediglich der Status Quo im Grundgesetz abgebildet werden soll. Das reicht nicht! Dies betrachten wir als Affront gegenüber all denjenigen, die sich seit nunmehr bald drei Jahrzehnten diesbezüglich engagieren.
Unsere Bundestagsfraktion hat daher einen eigenen Gesetzentwurf zur Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz eingereicht, wonach in Artikel 6 ein neuer Absatz 2 eingefügt werden soll: »Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung einschließlich des Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Ihr Wohl ist bei allem staatlichen Handeln, das sie betrifft, zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft trägt Sorge für altersgerechte Lebensbedingungen, beteiligt Kinder und Jugendliche bei allen staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen und berücksichtigt ihre Ansichten angemessen.«

FDP: Die Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern zu stärken, ist ein bedeutendes Anliegen für uns Freie Demokraten.
Die FDP steht einer Grundgesetzänderung und der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz skeptisch gegenüber, weil wir sie für eine Symbolhandlung halten. Die ausdrückliche Normierung von Kinderrechten im Grundgesetz würde Kindern nicht automatisch mehr Rechte verschaffen, als ihnen jetzt schon von Verfassung wegen zustehen. Die Rechte von Kindern sind in Deutschland durch die Grundrechte verfassungsrechtlich abgesichert. Kinder sind wie Erwachsene selbstverständlich Träger der Grundrechte. Dem Kind kommen sowohl eigene Menschenwürde als auch ein eigenes Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit zu. Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) garantiert den Schutz von Kindern vor Gewalt und Vernachlässigung. Anerkannt ist auch der wichtige Anspruch von Kindern auf Pflege und Erziehung, der aus Artikel 6 Abs. 2 GG folgt. Auf der Grundlage von Artikel 6 GG hat das Bundesverfassungsgericht im Übrigen ein differenziertes, wohlaustariertes System der wechselseitigen Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis Eltern-Kind-Staat entwickelt.
Die Orientierungskraft unserer Verfassung resultiert daraus, dass wir sie nur dann wirklich ändern, wenn wir auch aufzeigen können, dass damit echter Fortschritt verbunden ist, und nicht lediglich Symbolpolitik betrieben wird. Probleme beim Gesetzesvollzug löst man nicht mit Verfassungsänderungen.