Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2019, Rubrik Titelthema

Die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes *

Von Nicolai von Ondarza, Berlin, und Felix Schenuit, Hamburg

Das Europäische Parlament (EP) ist die Vertretung der Bürger der Europäischen Union. Seine Legislaturperiode dauert fünf Jahre. Seine Befugnisse und Aufgaben gliedern sich in drei Kompetenzbereiche: Gesetzgebung, Haushalt und Kontrollbefugnisse. Eine zentrale Befugnis ist dem Europäischen Parlament jedoch verwehrt: Es kann selbst keine Gesetze initiieren. Dieses Recht liegt allein bei der Europäischen Kommission. Das Europäische Parlament kann jedoch die Kommission auffordern, zu Politikfeldern Vorschläge zu erarbeiten und in das Parlament einzubringen.

Bislang wurden Kompetenzen des EP als Reaktion auf eben dieses Demokratiedefizit der EU bei jeder Vertragsänderung immer mehr ausgeweitet. Noch immer ist das Parlament aber nicht bei allen Entscheidungen der EU gleichermaßen beteiligt. Vielmehr gibt der EU-Vertrag für jeden Politikbereich vor, inwieweit das Parlament neben dem Rat und der Kommission mitentscheiden kann.

Das wichtigste Gesetzgebungsverfahren in der EU ist das sogenannte ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Durch dieses Verfahren ist das Parlament seit dem Vertrag von Lissabon, der seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist, an immer mehr Entscheidungen beteiligt. Beispielsweise wird die EU-Gesetzgebung zum Binnenmarkt nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet. Im Rahmen dieses auch Mitentscheidungsverfahren genannten Vorgehens entscheiden die drei wichtigsten EU-Institutionen – Kommission, Rat und Parlament – gemeinsam über die EU-Gesetzgebung. So werden dann entweder EU-Verordnungen beschlossen, die direkt rechtsverbindlich sind, oder EU-Richtlinien, die verbindlich von den Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist umgesetzt werden müssen.

Gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren wird ein Rechtsakt durch die Kommission initiiert, indem diese einen Vorschlag vorlegt. Danach berät das Parlament darüber und verfasst eine Stellungnahme und gegebenenfalls Änderungsvorschläge (sogenannte 1. Lesung). Im Anschluss daran befassen sich im Rat der Europäischen Union (Ministerrat) die Vertreterinnen und Vertreter der nationalen Regierungen mit dem Vorschlag der Kommission und der Stellungnahme des EP.

Wenn der Rat mit den Änderungen des EP nicht einverstanden ist, geht das Dokument zurück an das Parlament (so genannte 2. Lesung). Jetzt kann das EP den Änderungen des Rates entweder folgen und damit das Gesetzgebungsverfahren abschließen oder es durch komplette Ablehnung beenden. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, weitere Änderungsvorschläge an den Rat zu richten.

An diesem Punkt des Verfahrens nimmt die Kommission erneut Stellung zu den vorgeschlagenen Änderungen des Parlaments. Wenn der Rat diese nun akzeptiert, ist das Gesetz beschlossen. Andernfalls wird ein Vermittlungsausschuss einberufen, der sich ähnlich wie deutsche Vermittlungsausschüsse, in denen Vertretungen aus Bundestag und Bundesrat verhandeln, aus Vertreterinnen und Vertretern von EP und Rat zusammensetzt. Dieser wird von der Kommission beratend unterstützt. Einigt sich dieser auf eine Lösung, wird der Gesetzentwurf in dritter Lesung im EP beschlossen.
Dieses Verfahren ist komplex und relativ zeitintensiv. In der politischen Praxis haben sich daher die sogenannten Triloge etabliert. Ein Trilog ist ein informelles Gremium bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der EU-Kommission, der jeweiligen rotierenden Präsidentschaft des Rates sowie dem Europäischen Parlament, also quasi ein Vermittlungsausschuss.

Anstatt aber bis zur dritten Lesung und dem Vermittlungsausschuss zu warten, bilden die EU-Institutionen mittlerweile direkt nach dem Vorschlag der Kommission und vor der ersten Lesung einen solchen Trilog, um einen Kompromiss zu finden.

Dies spart viel Zeit und verbessert die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen. Der gefundene Kompromiss kann dann direkt in erster Lesung von Parlament und Rat verabschiedet werden.



Das Trilog-Verfahren steht jedoch auch in der Kritik, weil der formelle Prozess umgangen wird und die Trilog-Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Dennoch hat es sich etabliert – in der laufenden Legislaturperiode wurden fast 90 Prozent aller Mitentscheidungsverfahren durch die Triloge in erster Lesung abgeschlossen, in die dritte Lesung kam kein einziges. Wichtig für das EP ist: Ob in erster Lesung oder dritter, ohne Zustimmung des Parlaments kann beim ordentlichen Gesetzgebungsverfahren keine EU-Gesetzgebung verabschiedet werden.


Innerhalb der europäischen Verträge gibt es noch einige weitere mögliche Arten von Entscheidungsprozessen. Diese sehen jeweils eine andere Rolle des Europäischen Parlaments vor. Bei der Entscheidung über den regulären EU-Haushalt ist das EP ebenfalls voll beteiligt. Dies gilt seit dem Lissabonner Vertrag ohne Ausnahme. Wie in nationalen Parlamenten kann in der EU also kein Haushalt ohne Zustimmung der Parlamentarier verabschiedet werden. Über dieses Haushaltsrecht hat sich das EP in der Vergangenheit auch immer wieder zusätzliche Mitspracherechte erkämpft.
Es gibt jedoch auch Ausnahmen, bei denen die Beteiligungsrechte des Parlaments eingeschränkt sind. Dies ist etwa das Zustimmungsverfahren, bei dem – wie der Name sagt – die Zustimmung des Parlaments erforderlich ist, das Parlament selbst aber keine Änderungen einbringen kann. Dies gilt beispielsweise für internationale Verträge der EU, etwa im Handelsbereich oder bei der Aufstellung des mehrjährigen Finanzrahmens. In Ausnahmefällen, zum Beispiel in Teilen der Innen- und Justizpolitik, gilt weiterhin das Anhörungsverfahren, bei dem das Parlament zwar zwingend vom Rat angehört werden muss, aber nicht mitentscheiden kann.

In der Praxis nutzt das Parlament dann aber regelmäßig andere Hebel, um seine Interessen durchzusetzen. Beispiels weise hat die EU 2011 in insgesamt sechs EU-Rechtsakten die Haushaltskontrolle in der Eurozone verschärft. Das EP hatte jedoch nur in zweien davon Mitentscheidungsrechte, bei den anderen sollte es nur angehört werden. Über die Verknüpfung der sechs Rechtsakte haben die Europa-Abgeordneten aber erreicht, bei allen sechs voll beteiligt zu sein. Zuletzt gibt es aber, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik, auch immer noch EU-Entscheidungen, bei denen das Parlament weder beteiligt noch angehört werden muss und von den nationalen Regierungen im Rat alleine entschieden werden.

Wichtig bleibt ein zentraler Unterschied zu nationalen Parlamenten festzuhalten, der auf das Parlament in allen unter schiedlichen Gesetzgebungsprozessen zutrifft: Die EP-Abgeordneten haben – anders als ihre nationalen Kolleginnen und Kollegen – kein Initiativrecht für neue Gesetzesvorhaben. Dieses Initiativrecht liegt einzig bei der Europäischen Kommission.

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Die wichtigsten EU-Institutionen im Überblick
Rat der Europäischen Union (»Ministerrat«)
• zusammengesetzt aus Ministern der EU-Mitgliedsländer
• tagt in zehn verschiedenen Ratsformationen (z. B. Rat der Verkehrsminister, der Innenminister, der Justizminister)
• Gesetzgebungsrecht, zusammen mit Europäischem Parlament
• Haushaltsbefugnisse, zusammen mit Europäischem Parlament

Europäische Kommission (»Hüterin« der Verträge)
• pro Mitgliedsland ein Kommissar, der im Interesse der gesamten EU, nicht im nationalen Interesse handelt
• Initiativrecht für neue Gesetze
• überwacht die Einhaltung und Realisation von EU-Verträgen
• führt Verhandlungen mit internationalen Organisationen und Drittstaaten
• Verwaltung, Ausführung des EU-Haushalts

Europäischer Rat (Treffen der »Regierungschefs«)
• setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der EU zusammen
• die Treffen werden in der Presse »EU-Gipfel« genannt
• Impulsgeber: der Europäische Rat entscheidet über Eckpunkte der europäischen Politik
• hat keine Gesetzgebungskompetenz

Europäisches Parlament (»Vertretung der EU-Bürger«)
• einzige direkt gewählte EU-Institution
• repräsentiert rund 513 Mio. EU-Bürger/innen
• Gesetzgebungsrecht in fast allen Politikbereichen, erlässt zusammen mit dem Rat der Europäischen Union EU-Rechts-vorschriften
• Haushaltsbefugnisse, entscheidet zusammen mit Rat der Europäischen Union über den EU-Haushalt, Haushaltskontrollausschuss
• parlamentarische Kontrolle der EU-Kommission und von EU-Agenturen

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* Aus: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 339, 4/2018 – 1/2019, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn