Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2014, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Reise in die Geschichte: die Blockade Leningrads

Internationale Jugendbegegnung im Rahmen der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages

Von Pia Hartmer, AK Alternative Stadtrundfahrten im Landesjugendring Hamburg

Rund 900 Tage lang, vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, währte die Leningrader Blockade, also die Belagerung Leningrads (heute: St. Petersburg) durch die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs. Die Belagerung der Stadt hatte das Ziel, die Leningrader Bevölkerung systematisch verhungern zu lassen. Über eine Million Frauen, Männer und Kinder fielen diesem beispiellosen Kriegsverbrechen zum Opfer.

70 Jahre nach der Befreiung Leningrads erinnerte die internationale Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages an jene Ereignisse. Seit 1997 findet die Jugendbegegnung alljährlich im Rahmen des Erinnerns und Gedenkens zum internationalen Holocaustgedenktag am 27. Januar statt. Eingeladen waren in diesem Jahr 79 Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern, die sich in verschiedenen Zusammenhängen gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung engagieren. Auf Vorschlag des Deutschen Bundesjugendrings bekam ich die Gelegenheit, an der Jugendbegegnung teilzunehmen.

Die Begegnung. Zum Auftakt der Begegnung trafen sich die Teilnehmer/innen in Berlin. Nach einem ersten Kennenlernen führte die Historikerin Ekaterina Makhotina von der Universität München im Paul-Löbe-Haus in das Thema ein. Neben der wissenschaftlichen Beschäftigung ist Makhotina die Geschichte auch aus eigenen Familienerzählungen vertraut, da ihr Großvater die Blockade von Leningrad überlebte.

Am zweiten Tag der Begegnung ging es gemeinsam nach St. Petersburg. Nach einem Zusammentreffen mit Zeitzeugen/innen, die die Blockade als Kinder erlebt hatten, wurde das »Denkmal der heldenhaften Verteidiger Leningrads« besucht. Während einer Gedenkminute war dort das gleichmäßige Klopfen eines Metronoms zu hören. Es soll den Herzschlag der Stadt symbolisieren, das Leben, das auch während der Blockade weiterging. Für die Opfer leuchtet ein ewiges Feuer und vor dem Denkmal liegen rote Nelken. Nach einer Besichtigung des unterirdisch gelegenen Museums stand als nächstes ein Besuch des »Siegesparks« auf dem Programm. Aktivisten/innen der Menschenrechtsorganisation Memorial führten uns im Sonnenschein durch den Park und erzählten uns dessen Geschichte. Während der Blockade befand sich auf dem Gelände eine Ziegelei, die im letzen Jahr der Blockade unter strengster Geheimhaltung als Krematorium umgebaut und welches bis in das Jahr 1946 weiterbenutzt wurde. Die Asche der hier verbrannten Leichen wurde in die Teiche auf dem Gelände gestreut. Später wurde auf dem Gelände ein Park errichtet. Die Aktivisten/innen erzählten von ihrer persönlichen Verknüpfung mit der Blockade und ihren Bestrebungen, im Park das Gedenken lebendig zu halten.

Später in der Sankt Petri Kirche sprachen wir mit Überlebenden der Blockade. Schade war, dass wir keine Gelegenheit hatten, die Gespräche vorzubereiten. So gab es auch keinen Raum, sich im vorhinein Gedanken darüber zu machen, was für Gespräche mit Zeitzeugen/innen wichtig ist und an welchen Stellen es zum Beispiel gilt, sensibel zu sein. Die Gespräche wurden auch ziemlich abrupt abgebrochen, da das Programm eine Rede der Generalkonsulin vorsah.

Julia Demidenko vom »Museum der Geschichte der Stadt St. Petersburg« erläuterte uns danach einiges zur Geschichte der Erinnerungskultur an die Blockade zunächst in der sowjetischen, später in der russischen Gesellschaft.

Am Samstag besichtigten wir den Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof. Hier befindet sich der zentrale Gedenkort für die Opfer der Blockade : fast 500.000 Menschen liegen hier in Massengräbern begraben. Am 9. Mai 1960 wurde die Gedenkstätte eröffnet. Im Mittelpunkt steht eine »Mutter Heimat« verkörpernde Bronzeplastik. Umschlossen ist das Mahnmal von einer 150 Meter breiten und 4,5 Meter hohen Granitmauer mit einem Gedicht von Olga Bergholz, einer Überlebenden der Blockade.

Im Bundestag. Am 27. Januar nahmen wir schließlich an der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages teil. Als Redner war der russische Schriftsteller Daniil Granin, der die Blockade von Leningrad überlebte, geladen. Zuvor hatten wir uns eine zwar interessante Ausstellung zur sog. »NS-Euthanasie« angeschaut, doch hätte ich die Zeit lieber genutzt, näheres über Daniil Granin zu erfahren bzw. das im Anschluss an die Gedenkstunde geplante Gespräch mit ihm und Bundestagspräsident Norbert Lammert vorzubereiten. So blieb für mich am Ende leider das Gefühl, dass unsere Gruppe nach der bewegenden Rede von Daniil Granin unvorbereitet in das Gespräch ging – und das war Daniil Granin nicht würdig.